Justitia 4.0 – das Für und Wider digitaler Gerichtsprozesse und Notariatsakte

Die zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie eingeführten Kontaktbeschränkungen haben in vielen Ländern der Europäischen Union zu teilweise erheblichen Umwälzungen der juristischen Praxis geführt. Insbesondere für die Bereiche der forensischen Tätigkeit und der Erstellung von Notariatsakten galt bislang praktisch uneingeschränkt und unter Außerachtlassung des durch die fortschreitende Digitalisierung ermöglichten Fortschritts bei der Kommunikation nach wie vor der unumstößliche Grundsatz der persönlichen Anwesenheit – sei es, um sich ein persönliches Bild von den Parteien machen zu können (Gerichtsverfahren), sei es um die persönliche Identität der Erschienenen zweifelsfrei bestätigen zu können (Notariatsakte).

Digitale Gerichtsprozesse

Die persönliche Anwesenheit vor dem Richter, direkte Zeugenbefragungen „von Angesicht zu Angesicht“, das Ritual der Platzeinnahme am „richtigen“ Platz im Gerichtssaal: Aus Sicht der Justiz werden durch die Kontaktbeschränkungen teilweise jahrhundertealte Prinzipien und Traditionen in Frage gestellt, die teils aus guten Gründen der Rechtsstaatlichkeit bestehen, teils aber sicherlich auch einer gewissen Vorliebe für Traditionen geschuldet sind. Aus Sicht des betroffenen Mandanten stellt sich hingegen vielmehr die Frage, ob der nun zwangsläufig ausgelöste Modernisierungsschub nicht vielleicht auch Vorteile bringen kann: Kann ich mir bei Anordnung des persönlichen Erscheinens vielleicht die langwierige Anreise zu einem fern vom Unternehmenssitz zuständigen Gericht sparen? Wenn seitens des Anwaltes umfangreiche Informationen und Unterlagen zur Substantiierung der Schriftsätze angefordert werden, ergeben sich nun auch Möglichkeiten für nicht papiergebundene Formate der Darstellung?

Auch abhängig vom Status der Digitalisierung der Justiz stellt sich die Frage, wie die im Rahmen der Pandemie gewonnenen Erfahrungen auch für die Zukunft im Interesse eines effektiven und modernen Rechtsschutzes fruchtbar gemacht werden können.

Digitale Notariatsakte

Videokonferenzen sind mittlerweile aus vielen Bereichen des Geschäftslebens kaum noch wegzudenken – jedenfalls solange, bis eine notarielle Beurkundung erforderlich wird: die Einbeziehung eines Notars erforderte stets die persönliche Anwesenheit. Die Pandemie zwang den Gesetzgeber auch in diesem Bereich kreativ zu werden und bestehende Traditionen und Prinzipien auf den Prüfstand zu stellen: Wenn es möglich ist, eine Gesellschafterversammlung per Videokonferenz abzuhalten, warum sollte es dann nicht auch möglich sein, einen Vertrag zur Übertragung von Geschäftsanteilen ebenfalls per Videokonferenz und unter Einsatz digitaler Firmierungen abzuschließen? Das Notariatswesen und die jeweiligen Beurkundungserfordernisse unterliegen auch in der Europäischen Union grundsätzlich keiner Vereinheitlichung, sodass jedes Land hier prinzipiell eigene Lösungen erarbeiten konnte und musste; zu beachten ist jedoch die Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie, die sich sicherlich auch auf das Notariat auswirken wird. Dementsprechend vielfältig ist die Bandbreite der nun eingeführten Lösungen für einen digitalen Notariatsakt.



Autor: Dr. Axel Berninger
Autor: Florian Bünger