Gericht bestätigt hohe Geldbußen für Konzernmütter als Teilnehmer am Kalziumkarbidkartell

I. Hintergrund

Im Juli 2009 wurden gegen neun Unternehmen wegen ihrer Teilnahme am Kalziumkarbidkartell eine Geldbuße von insgesamt EUR 61 Mio. von der Europäischen Kommission („Kommission“) verhängt. Unter den betroffenen Unternehmen befanden sich auch die Konzernmütter Gigaset AG („Gigaset“, vormals Arques Industries AG) und Evonik Degussa GmbH („Degussa“) wegen der direkten Teilnahme der Tochtergesellschaft SKW Stahl-Metallurgie GmbH („SKW“) am Kartell.

Die Kommission stellte fest, dass die Zuwiderhandlung vom 7. April 2004 bis zum 16. Januar 2007 angedauert hatte. SKW war bis zum 30. August 2004 eine 100%ige Tochtergesellschaft von Degussa, danach bis November 2006 eine 100%ige Tochter von Gigaset. In dem Zeitraum von 30. November 2006 bis zum 16. Januar 2007 war Gigaset weiterhin mit 57% an SKW beteiligt.

Folglich hafteten jeweils Degussa als Konzernmutter der wirtschaftlichen Einheit bis zum 30. August 2004 sowie Gigaset als Konzernmutter der nachfolgenden wirtschaftlichen Einheit ab dem 30. August 2004 gesamtschuldnerisch. Degussa wurde gesamtschuldnerisch mit SKW in die Haftung für einen Betrag in Höhe von EUR 1,04 Mio. genommen, sowie Gigaset mit EUR 13,3 Mio. Des Weiteren wurde Degussa als Wiederholungstäter die Geldbuße um 50% erhöht und haftet somit alleine zusätzlich für EUR 1,24 Mio.

II. Zusätzliche Geldbuße für Wiederholungstäter

Das Gericht hat die Geldbuße hinsichtlich der Wiederholungstäterschaft am 23. Januar 2014 in der Rechtssache T-391/09 Evonik Degussa GmbH und AlzChem AG gg Europäische Kommission bestätigt. Demnach ist die Wiederholungstäterschaft ein erschwerender Umstand bei der Berechnung der Höhe der Geldbuße, auch wenn die zweite Zuwiderhandlung einer wirtschaftlichen Einheit zuzurechnen ist, die nicht identisch mit derjenigen ist, die für die erste Zuwiderhandlung in die Haftung genommen wurde.

Dabei käme eine gesamtschuldnerische Haftung einer Einheit, die kein Wiederholungstäter ist, mit einer Einheit, wo die Wiederholungstätigkeit doch festgestellt wurde, nicht in Frage. Demnach musste vorliegend Degussa die Erhöhung der Geldbuße alleine und nicht gesamtschuldnerisch mit ihrer nicht-wiederholungstätigen Tochtergesellschaft tragen.

Bezüglich der Höhe der Erhöhung der Geldbuße für Wiederholungstäterschaften bestätigte das Gericht, dass die Kommission einen freien Ermessensspielraum hat und es keine „lineare Rechenübung“ gibt.

III. Compliance Programm ist kein Milderungsgrund

Das Gericht bestätigte ebenfalls, dass die Kommission auch die Einführung eines Compliance Programmes bzw Befolgungsprogrammes nicht zwingend als mildernder Umstand betrachten muss. Das Einführen solcher ändere nämlich nichts daran, dass die Zuwiderhandlung tatsächlich (erneut) begangen wurde. Dies zeigt vielmehr, dass die Maßnahmen zur Verhinderung solcher Zuwiderhandlungen nicht wirksam gewesen seien und nicht belohnt werden sollten.

IV. Gesamtschuldnerische Haftung von Muttergesellschaften

Gigaset konzentriert sich hauptsächlich auf den Kauf und Umstrukturierung von Unternehmen in besonderen Umständen. Um dies mit SKW zu bezwecken, wurde von Gigaset die Zwischengesellschaft SKW Stahl-Metallurgie Holding AG („SKW-Holding“) gegründet. Diese haftete ebenso gesamtschuldnerisch als Zwischengesellschaft sowie als direkte Muttergesellschaft von SKW.

Hinsichtlich des Zeitraumes, in dem Gigaset nur mit 57% an SKW beteiligt war, bestätigte das Gericht am 23. Januar 2014 in der Rechtssache T-395/09 Gigaset AG gg Europäische Kommission die Auffassung der Kommission, die zu einer gesamtschuldnerischen Haftung auch bei einer solchen geringen Beteiligung führten. Demnach gilt als Beweis für die Ausübung eines bestimmenden Einflusses einer Muttergesellschaft über ihre Tochtergesellschaft unter anderem dass:

  • Der Geschäftsführer der Zwischengesellschaft SKW Holding von Gigaset ernannt wurde;
  • SKW Holding regelmäßige Berichte über Leistungen, Cashflow, Liquiditäts- und Budgetplanung, etc. von SKW an Gigaset erstattete;
  • Die Geschäftsführung von SKW Holding die Zustimmung des Hauptgeschäftsführers von Gigaset für strategische Entscheidungen brauchte;
  • SKW Holding einen Vorstandsmitglied von Gigaset zur Klärung von Fragen zur Verfügung stand;
  • SKW manchmal bei Treffen mit Wettbewerbern von einem Vorstandsmitglied von Gigaset begleitet wurde;
  • Der Umsatz von SKW zu den wirtschaftlichen Leistungsdaten von Gigaset beitrug;
  • Gigaset mehrere Mitglieder ihres Vorstands zu Mitgliedern des Verwaltungsrats der Zwischengesellschaft ernannte.

Darüber hinaus führte das Gericht aus, dass es nicht erforderlich ist zu beweisen, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf den spezifischen Bereich ausgeübt hat, in dem es zur Zuwiderhandlung gekommen ist. Somit wurde das Argument, dass Gigaset lediglich die Entwicklung und Restrukturierung von SKW beobachtet hat, jedoch keinen bestimmenden Einfluss ausübte, zurückgewiesen.

Dabei legte das Gericht auch fest, dass wenn die absolute Mehrheit der Aktien einer börsennotierten Gesellschaft von einer Person gehalten wird, diese Person weitgehende Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten über die Gesellschaft hat. Allerdings äußerte sich das Gericht nicht, ob diese Festlegung auch Anwendung auf die kapitalbezogene Vermutung findet.

V. „Doppelte Geldbuße“

Die Kommission legte jedoch fest, dass der zu zahlende Betrag von SKW auf EUR 13,3 Mio. begrenzt sei. Die Gesamtsumme beider Geldbußen, die an die unterschiedlichen wirtschaftlichen Einheiten gerichtet sind, ergeben jedoch EUR 14,34 Mio. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die Kommission hinsichtlich der gesamtschuldnerischen Haftung von SKW, SKW Holding und Gigaset einen niedrigeren Multiplikator als vorgeschrieben angewendet hat.

Das Gericht bestätigte, dass SKW trotz gesamtschuldnerischen Haftung beider Geldbußen nicht mehr als EUR 13,3 Mio. der Kommission zu zahlen hat, da eine Rückerstattung der Zahlung der Geldbuße von den anderen Unternehmen (bzw die Muttergesellschaften) gegenüber SKW vor den zuständigen nationalen Gerichten verlangt werden kann.

VI. Geltungsbereich von Kronzeugenanträge

Weiters bestätigte das Gericht auch, dass eine Einheit bzw Gesellschaft innerhalb eines Unternehmens, welches zum Zeitpunkt der Einreichung eines Kronzeugenantrags nicht zu diesem gehört, nicht unter den Genuss der Kronzeugenregelung kommen kann. Demnach konnte der am 26. Februar 2007 von Degussa gestellte Kronzeugenantrag sich nicht auf SKW und SKW Holding erstrecken, da diese von Degussa bereits 2004 verkauft wurden. Somit betrifft die Herabsetzung der Geldbuße in Höhe von 20% aufgrund deren Kooperation im Rahmen der Kronzeugenregelung ausschließlich Degussa und nicht SKW und SKW Holding.

Autoren:

Dr. Christina Hummer
Ori Kahn