Beilegung von Investitionsstreitigkeiten und die Pläne der Europäischen Union

Die Diskussionen und Überlegungen zur Einführung eines Europäischen Gerichtshofs für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten rückte seit den – letztlich gescheiterten – Verhandlungen der Europäischen Union mit den USA um das Freihandelskommen TTIP in den Fokus der Öffentlichkeit. Kritisiert wurde der – bis dato – zumeist durch Bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen Staaten („BIT“, Bilateral Investment Treaties) vorgesehene „private“ Rechtsschutz in Form von Schiedsgerichten, der im TTIP-Abkommen vorgesehen war. Zentrum der Kritik war – neben dem Chlorhuhn – der Streitschlichtungsmechanismus, da er lediglich großen internationalen Konzernen nutzen würde, die Staaten, deren Bevölkerung und die Umwelt ausbeuten würden – von einer Paralleljustiz wurde gesprochen. Doch ist dem wirklich so? Warum gibt es überhaupt einen Investitionsschutz durch Schiedsgerichte? Und warum (und was) plant die Europäische Union nunmehr für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten?


Inhaltsübersicht


Bedürfnis nach Investitionsschutz – Warum?

Ein Unternehmen investiert (zB durch Ausbau der Gesundheits- oder Energieversorgung) in einem anderen als seinem Sitzstaat und nach der Investition ändern sich die rechtlichen Rahmenbedingungen, wodurch die Investition (teilweise) wertlos wird (zB durch entschädigungslose Enteignung). Spätestens dann stellt sich die Frage nach dem Schutz des Investors in diesem fremden Staat. Gäbe es keine Investitionsschutzabkommen, wäre das Unternehmen auf die staatlichen Gerichte des Investitionsstaats verwiesen. Dies wurde (und wird) von vielen Investoren als nicht befriedigend empfunden. Die Gerichte des Investitionsstaats müssten in einem Verfahren die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit von staatlichem Handeln (meist durch die Gesetzgebung) beurteilen, oder das Rechtssystem des Investitionsstaats gilt als ineffizient oder politisch motiviert, als korruptionsanfällig oder zumindest als nicht vollkommen unabhängig und unparteiisch.

Um Investoren daher die Angst vor dem Investieren in Staaten mit „wackeligem“ Rechtsschutz zu nehmen und Investition trotzdem schmackhaft zu machen, entschlossen sich die Staaten zum Abschluss von Investitionsschutzabkommen. Dabei handelt es sind um Verträge zwischen dem Sitzstaat des Investors und dem Staat der Investition (und daher um bilaterale Staatsverträge). In diesen Staatsverträgen werden zumeist Streitbeilegungsmechanismen – die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit – als Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit vereinbart. Zudem bieten bilaterale Investitionsschutzabkommen Schutz vor Diskriminierung, kompensationsloser Enteignung, unbilliger und ungerechter Behandlung sowie die Garantie eines freien Kapitalverkehrs.

Das erste derartige BIT wurde bereits im Jahr 1959 zwischen Deutschland und Pakistan abgeschlossen – also ganz so neu sind derartige Abkommen nicht. Auch wenn die TTIP-Gegner dies erst im Jahr 2015/2016 bemerkten. Weltweit bestehen mehr als 3.000 Investitionsschutzabkommen – allein Österreich ist Vertragsparteien von 60 BITs und Deutschland hat rund 130 derartiger Staatsverträge abgeschlossen.

Was versteht man unter Investitionsschiedsgerichtsbarkeit?

Unter Investitionsschiedsgerichtsbarkeit versteht man Verfahren zwischen einem ausländischen Investor und einem Staat vor einem internationalen Schiedsgericht. Geltend gemacht wird ein beim Investor auf Grund eines staatlichen Handelns eingetretener Schaden. Wesentliche Voraussetzung für den Zugang eines Investors oder eines Staates zur Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist dabei das Vorliegen eines BITs zwischen dem Investoren- und dem Investitionsstaat und eines darin enthaltenen (neben den staatlichen Gerichten alternativen) Streitbeilegungsmechanismus, zumeist in Form einer Schiedsklausel. Die Schiedsklausel kann die Abwicklung des Verfahrens nach den Regeln einer bestimmten Schiedsgerichtsinstitution [beispielsweise der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL), des International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) oder der Internationalen Handelskammer (ICC)] und/oder durch ein ad-hoc gebildetes Schiedsgericht vorsehen.

Durch ein funktionierendes Investitionsschutzsystem wird im Streitfall der Zugang zu einem unabhängigen und neutralen Schiedsgericht ermöglicht. Ein funktionierender Investitionsschutz sorgt folglich für einen Anstieg an weltweiten Direktinvestitionen, die wiederrum die globale Wertschöpfungskette stärken.

Warum überlegt die Europäische Union die Gründung eines Investitionsgerichts?

Es war jahrzehntelange Praxis zwischen den (nunmehrigen) EU-Mitgliedstaaten, Investitionsschutzabkommen abzuschließen, sog. Intra-EU-BITs. Das Jahr 2018 führte jedoch zum Wendepunkt. Grund war die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im sogenannten "Achmea"-Fall. Das im Intra-EU-BIT zwischen den Niederlanden und der Slowakei vorgesehene Schiedsgericht erließ in einem Verfahren eines niederländischen Investors gegen die Slowakei einen Schiedsspruch zugunsten des Investors. Im daraufhin von der Slowakei eingeleiteten Aufhebungsverfahren wurde dem EuGH unter anderem die Frage vorgelegt, ob eine Schiedsklausel in einem Investitionsschutzvertrag – unter Beteiligung eines Staates – die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet oder nicht. Der EuGH verneinte dies, da sich Entscheidungen von derart konstituierten Schiedsgerichten der Kontrolle des EuGH entzögen und daher die "Einheitlichkeit bei der Auslegung des Unionsrechts" nicht gewährleistet sei.

Als Folge dieser Entscheidung wurden 130 der zwischen den EU-Mitgliedsstaaten abgeschlossener Verträge aufgekündigt. Dies führt zu einer großen Verunsicherung von Investoren. Rufe nach einem effektiven Investitionsschutz auf Europäischer Ebene wurden wieder laut.

Gibt es jetzt ein Investitionsgericht auf europäischer Ebene?

Jein – Investitionsgerichte auf europäischer Ebene sind bereits vorgesehen, jedoch noch nicht eingesetzt:

In den von der EU (in Vertretung der Mitgliedsstaaten) abgeschlossenen Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA), Singapur (EUSFTA) oder Vietnam (EVFTA) (auch Freihandelsabkommen der „neuen Generation“ bezeichnet) sind Investitionsgerichte vorgesehen.

Im CETA-Abkommen ist ein Investitionsgericht als  

  • fixe Einrichtung mit zwei Instanzen vorgesehen;
  • es sollen 24 Richter tätig sein, wobei 15 Richter für die erste und 9 Richter für die zweite Instanz zuständig sein sollen;
  • die Richter, die vom sog CETA-Ausschuss ausgewählt werden, sollen zu einem Drittel Staatsbürger von Mitgliedstaaten der EU, zu einem Drittel aus Kanada und zu einem Drittel aus einem Drittland stammen;
  • der Richter aus dem Drittland soll den Vorsitz in dem eigens für den jeweiligen Fall gebildeten Kammern zuständig sein;
  • die Entscheidungen der ersten Instanz sollen binnen eines Jahres gefällt werden;
  • als Verfahrensordnung sollen Regeln von ICSID, UNICTRAL oder zwischen den Streitparteien einvernehmlich festgelegte Regeln gelten.

Wie genau dieses Gericht funktioniert und wer zB im CETA-Ausschuss die Richter auswählen wird, ist derzeit noch unklar. Bis dato wurde CETA noch nicht von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert – die vorläufige Geltung (seit 21.09.2017) ist auf den Investitionsschutzteil des Abkommens nicht anzuwenden.

Welche Neuerungen bringt der geplante EU-Investitionsgerichtshof?

Neben den Investitionsgerichten der „neuen“ Freihandelsabkommen gibt es seit dem Jahr 2015 Planungen der Europäischen Kommission für einen Investitionsgerichtshof.

Die Europäische Kommission hatte damals (daher vor mittlerweile 6 Jahren) einen Vorschlag für ein Streitbeilegungssystem für Investoren und Staaten vorgelegt, der die Errichtung eines Investitionsgerichtshofs sowie einer Rechtsmittelinstanz mit öffentlich ernannten unabhängigen und qualifizierten Richtern vorsah. Die Verfahren sollten an die nationalen Gerichtssysteme angelehnt und öffentlich sein. Zu einer Einigung und Umsetzung dieser Pläne kam es jedoch nie. Seit dem "Achmea-Urteil" und der Abschaffung der Intra-EU-Handelsabkommen wurde von der Kommission ein Konsultationsprozess eingeleitet und eine Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der EU-Mitgliedsstaaten gebildet. Im Zuge dessen sollten die Rahmenbedingungen für die Einführung eines Investitionsschutzsystems mit einem unabhängigen Schiedsgerichtshof für Investoren erarbeitet werden. Es ist davon auszugehen, dass sich die Schaffung dieses multilateralen Investitionsgerichtshofs für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten an den Investitionsgerichten der „neuen“ Freihandelsabkommen orientieren und daher ein System geschaffen werde, das mit der bis dato verwendeten Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nur noch wenig zu tun haben wird.

Wie man den Sitzungsprotokollen der Kommission entnehmen kann, könnten Investoren künftig ihre Forderungen direkt beim EU-Investitionsgerichtshof einklagen und folglich bindende Entscheidungen erhalten. Zudem sind auch alternative Streitbeilegungsmöglichkeiten – wie beispielsweise eines zentralen Ombudsmanns für Investoren – im Gespräch. 

Generell könnte laut der Kommission durch die Schaffung eines eigenen EU-Investitionsgerichtshofs ein noch attraktiveres Investitionsklima in der EU geschaffen werden. Ein erstes Konzept zur Einführung eines EU-Investitionsschutzmechanismus (dh Investitionsschutz als Ersatz der in den Intra-EU-Bits vorgesehen gewesenen Schiedsgerichte) soll nach Einschätzung der Kommission bis Ende 2021 vorliegen und anschließend im Rahmen einer Verordnung in den EU-Mitgliedsstaaten durchsetzbar sein.

Die Schindhelm Allianz berät Kunden seit mehr als einem Jahrzehnt in Bezug auf Direktinvestitionen im Ausland. Wenn Sie Fragen zum europäischen sowie internationalen Investitionsschutzrecht haben, stehen Ihnen die Experten der Schindhelm Allianz jederzeit gerne zur Verfügung.



Autor: Ria Kucera
Autor: Markus P. Fellner